Demos auf den Kanaren in deutschen Medien: worum geht es wirklich und welche Lösungen sind denkbar?

Demo-Fuerteventura

Am 20. April 2024 haben auf allen Kanarischen Inseln rund 57.000 Menschen unter Motto „Canarias tiene un límite“ („Die Kanaren haben ein Limit“) demonstriert. Nach Angaben der Delegation der spanischen Regierung auf den Kanaren sind in Santa Cruz auf Teneriffa rund 30.000 Menschen auf die Straße gegangen, auf Gran Canaria rund 14.000 und auf Lanzarote rund 9.000. Auf Fuerteventura nahmen nach offiziellen Angaben rund 2.800 Personen an der Demonstration teil. Auf La Gomera und El Hierro waren es rund 300 bzw. 120. Auch in der spanischen Hauptstadt Madrid gingen einige Canarios auf die Straße.

Immerhin haben die Proteste auch in den deutschen Medien, in den Fernsehnachrichten und natürlich auch in der Bild-Zeitung ein Echo gefunden.

Für die Bild-Zeitung waren natürlich Forderungen einiger weniger Demonstranten wie „Touristen, haut ab“, oder „Das ist kein Tourismus, sondern eine Invasion“, ein gefundenes Fressen.

Doch die meisten Demonstranten legen wert darauf festzuhalten, dass es ihnen gerade nicht „gegen Touristen“ und „gegen den Tourismus“ geht, sondern darum, dass die Kanaren ein weiteres, unbegrenztes Wachstum nicht ertragen können.

Was sind die Forderungen der Demonstranten?

Die meisten Demonstranten stellten drei Hauptforderungen:

  1. ein Moratorium für Tourismus und Ferienwohnungen, sodass ab sofort keine neuen touristischen Unterkünfte entstehen können
  2. eine Regulierung des Wohnens, um der kanarischen Bevölkerung Zugang zu bezahlbarem Wohnraum zu ermöglichen, in dem der Ferienwohnungsmarkt eingedämmt und der Kauf von Wohnungen durch nicht auf den Kanaren ansässige Personen beschränkt wird
  3. Die Erhebung einer Ökosteuer als Übernachtungssteuer, die von jedem Touristen erhoben wird, mit der die Erhaltung von Naturräumen und die Schaffung von nachhaltigen Arbeitsplätzen finanziert werden soll

Was sind die eigentlichen Probleme?

Der Tourismus trägt auf den Kanarischen Inseln zu etwa 40% zum BIP bei. Es ist wohl nicht falsch zu sagen, dass die die Menschen auf den Kanaren vom Tourismus leben. Warum sollten die Canarios also gegen den Tourismus protestieren, wenn er doch die „Kuh ist, die ihnen Milch gibt“? Zweifelsfrei war es auch der Beginn des Tourismus, der in den 1970er Jahren viele Menschen auf den Kanaren aus bitterer Armut geholt hat.

Tatsächlich ist es in den letzten Jahrzehnten auf den Kanarischen Inseln zu einem extremen Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum gekommen, das durch ein enormes Wachstum des Tourismus bedingt ist. In vielen Bereichen hat jedoch die Entwicklung der Infrastruktur nicht mit diesem Wachstum Schritt gehalten.

Neben der fest auf den Kanarischen Inseln lebenden Bevölkerung halten sich zu jeder Zeit des Jahres rund 25.000 Touristen pro 100.000 Einwohner auf. Auf Fuerteventura kommen im Schnitt sogar rund 33.000 Touristen auf 100.000 Einwohner.

Es ist einleuchtend, dass die Urlauber erhebliche Ressourcen in Anspruch nehmen. Dazu zählen nicht nur Wasser und Strom, sondern auch Kapazitäten im Gesundheitssystem und in der öffentlichen Sicherheit wie Polizei und Feuerwehr und nicht zuletzt Platz auf den Straßen. So stehen Menschen, die auf Teneriffa oder Gran Canaria zur Arbeit müssen, regelmäßig im Stau, weil in ihren Augen durch den Massentourismus die Straßen noch mehr verstopfen.

Auf den Kanarischen Inseln sind die Bruttolöhne mit die niedrigsten in ganz Spanien. Gleichzeitig sind die Mieten und Kaufpreise für Wohnungen auf den Kanarischen Inseln für die meisten Arbeitnehmer mittlerweile unerschwinglich.

Können die von den Demonstranten geforderten Maßnahmen die Probleme lösen?

Für die meisten Unternehmen wären „zu viele Kunden“ oder „zu viel Nachfrage“ wohl ein Luxusproblem, welches sich relativ einfach in steigende Gewinne und mehr Wohlstand umwandeln ließe. Ein Unternehmensberater würde in einem solchen Fall wahrscheinlich zu einer Veränderung des Geschäftsmodells und einer Anpassung des Preismodells raten.

Folglich ist die Forderung mancher Demonstranten nach einer „Änderung des Tourismusmodells“ auf den Kanaren auf den ersten Blick gar nicht so abwegig.

Doch für eine Volkswirtschaft gelten etwas andere Voraussetzungen als für ein Unternehmen: Es muss nicht nur ein „möglichst großer Kuchen gebacken“ werden. Dieser Kuchen muss dann auch noch „gerecht“ verteilt werden, damit alle satt und zufrieden sind.

Am Geld mangelt es der Politik auf den Kanaren eigentlich nicht. Manche Experten für Fiskalpolitik warnen sogar davor, dass durch die Einführung einer Touristensteuer eine Überbesteuerung einsetzen könnte. Die boomenden Touristenzahlen bescheren den Kanaren nicht zu verachtende Rekordeinnahmen aus der indirekten Steuer IGIC („kanarische Mehrwertsteuer“). Ein Beleg dafür, dass genug Geld vorhanden ist, ist die Tatsache, dass viele Institutionen auf den Kanaren es von Jahr zu Jahr gar nicht schaffen, ihre Haushaltsmittel auch wirklich auszugeben.

Dennoch könnten höhere Steuern auf touristische Leistungen die Preise für Reisen erhöhen und so zu einer (gewünschten oder gar notwendigen?) Reduzierung der Urlauberzahlen führen. Der Kuchen könnte dadurch größer werden. Die Verteilungsfrage wird dadurch jedoch nicht beantwortet.

Welche Effekte hätte ein Moratorium?

Mit dem Versuch, ein touristisches Wachstum durch das Verbot des Baus von neuen Hotels zu verhindern, ist die kanarische Regierung schon einmal gescheitert. Der Grund ist leicht erklärt: Die spanische Verfassung schützt das Recht auf Privateigentum. Wenn jemandem ein Hotelgrundstück gehört und die Regierung beschließt, dass auf einem solchen Baugrundstück doch kein Hotel gebaut werden darf, kommt dies einer Enteignung gleich, für die der Eigentümer entschädigt werden muss. Wegen des Versuchs, ein solches Moratorium durchzusetzen, musste die kanarische Regierung in der Vergangenheit hunderte von Millionen an Entschädigungen zahlen. Ein solcher Weg wäre also vermutlich sehr teuer.

Eine Reduzierung oder auch nur Verhinderung der Erweiterung der Bettenkapazitäten dürfte sich also als schwierig und sehr teuer erweisen.

Wie könnte also ein „anderes Tourismusmodell“ innerhalb der zwingenden gesetzlichen Vorgaben aussehen? Wie könnte man mehr Geld verdienen und dieses vor allem gerechter verteilen, ohne dass immer mehr Ressourcen verbraucht werden?

Für diese Frage haben die Demonstranten keine Lösungsvorschläge gegeben.

Wie könnte mehr bezahlbarer Wohnraum geschaffen werden?

Es gibt weltweit viele Beispiele für gescheiterte Versuche, die Mietpreise durch gesetzliche Vorgaben zu deckeln. Das Problem von zu wenigen Wohnungen wird dadurch nicht gelöst, weil bei niedrigen Preisen langfristig Mietwohnungen vom Markt verschwinden und andere Mechanismen als der Preismechanismus die Vergabe von Wohnungen bestimmen.

Auf Fuerteventura gibt es nach offiziellen Angaben rund doppelt so viele leer stehende Wohnungen (rund 14.400) wie Ferienwohnungen (rund 7.000). Es muss also einen Grund geben, warum Eigentümer ihre Wohnungen lieber leer stehen lassen, als sie zu vermieten. Die Nutzung als Ferienwohnung allein kann also nicht Schuld am Wohnungsmangel sein.

Eine Beschränkung des Erwerbs von Wohnungen durch „Nicht-Ansässige“, wie von den Demonstranten gefordert, ist rechtlich nicht möglich und bereits in anderen Regionen Spaniens gescheitert. Die Regeln der EU zur Freizügigkeit des Kapitals sind in dieser Frage sehr eindeutig. Außerdem ließe es auch die spanische Verfassung nicht zu, Festlandsspaniern den Kauf oder die Anmietung einer Wohnung auf den Kanarischen Inseln zu verbieten.

Wenn die Kanarische Regierung, die Cabildos oder die Gemeinden ihrer in der Verfassung verankerten Verpflichtung zur Ermöglichung des Zugangs zu einer würdigen Wohnung erfüllen wollen, müssten sie sich etwas anderes einfallen lassen, als den Zuzug gesetzlich zu verbieten.

Wohnungsmangel beseitigen: mehr Angebot schaffen oder für weniger Nachfrage sorgen

Um einem Wohnungsmangel zu begegnen, gibt es grundsätzlich zwei Möglichkeiten: a) eine Erweiterung des Angebots durch den Bau oder die Verfügbarmachung von mehr Wohnungen oder b) die Reduzierung der Nachfrage.

Der Bau neuer Wohnungen zöge zwangsläufig wieder einen erhöhten Ressourcenverbrauch nach sich. Außerdem dürften mehr Wohnungen dazu führen, dass noch mehr Menschen auf die Kanaren umziehen. Mehr Einwohner bräuchten auch mehr Arbeitsplätze, was den Wachstumsdruck vor allem auch im Tourismus weiter verstärken würde. Die Ausweitung des Angebots an Wohnungen könnte also einen Zielkonflikt gegenüber einer Limitierung des Wachstums und des Ressourcenverbrauchs bedeuten.

Laut gängiger Wirtschaftstheorie führen hohe Preise zu einem Rückgang der Nachfrage. Hohe Preise für Mieten oder den Kauf von Wohnungen führen also tendenziell dazu, dass weniger Menschen auf die Kanaren ziehen möchten. Allerdings bedeutet eine solche Situation, die man auf den Inseln derzeit beobachten kann, dass „einheimische“ Arbeitnehmer sich die Preise nicht mehr leisten können und mit „kaufkräftigeren“ Ausländern oder Festlandsspaniern konkurrieren müssen. Hier bestünde nun die Möglichkeit, die Kaufkraft der „Einheimischen“ z.B. durch Lohnerhöhungen, Steuersenkungen oder direkte Subventionierung von Bedürftigen zu erhöhen, damit sie mit den von außen Zuziehenden mithalten können. Eine solche künstlich aufrechterhaltene Ineffizienz des Wohnungsmarktes ist jedoch auf Dauer sehr teuer.

In einem funktionierenden Markt strebt dieser nach einem Gleichgewicht. Bei langfristig hohen Miet- und Kaufpreisen käme es, laut Wirtschaftstheorie, also wieder zu einer Ausweitung des Angebots durch den Bau neuer Wohnungen, was natürlich wieder zu mehr Ressourcenverbrauch und vermehrtem Zuzug, aber auch zu sinkenden Mieten führte.

Auf den Kanaren hat die Politik diesen natürlichen Marktmechanismus seit Jahrzehnten unterdrückt. Fehlende Bebauungspläne, unendlich lange Baugenehmigungsverfahren sowie ein vermieterfeindliches Mietrecht und die daraus resultierende Rechtsunsicherheit haben dazu geführt, dass Investoren, trotz der mittlerweile wieder hohen Preise, seit der Immobilienkrise 2008 kaum noch Wohnungen auf den Kanarischen Inseln gebaut haben.

Vertragsfreiheit und „positive Diskriminierung“ als Lösung für das Wohnungsproblem?

Hotels finden auf den Kanaren angeblich kein Personal, weil es keine attraktiven, bezahlbaren Wohnungen in der Nähe der Arbeitsstätten gibt. Dasselbe Problem melden Krankenhäuser, Schulen und Polizeikasernen, die keine Ärzte, Lehrer und Polizisten anlocken können.

Früher war es durchaus üblich, dass Hotels Wohnungen für Mitarbeiter anboten. Ein gutes Beispiel ist der Robinson-Club, der in Morro Jable eine komplette Wohnanlage für seine Mitarbeiter gebaut hat. Im Rahmen der Vertragsfreiheit könnte ein Hotel, das aufgrund mangelnden Wohnraums kein Personal findet, Dienstwohnungen ausschließlich für eigene Angestellte anbieten.

Genauso könnte der Staat Ärzten, Lehrern und Polizisten Dienstwohnungen zur Verfügung stellen. Damit wäre ausgeschlossen, dass „reiche Ausländer“ diesen Berufsgruppen Wohnungen „wegschnappen“. Ausländische Ärzte, die im kanarischen Gesundheitssystem arbeiten wollen, wären natürlich herzlich willkommen und könnten solche Dienstwohnungen ohne Diskriminierung beziehen.

Schwierige Aufgabe für die Politik

Im Grunde muss sich die Politik auf den Kanarischen Inseln entscheiden, ob sie den bisher eingeschlagenen Weg verlassen will, oder ihn einfach weitergeht. Kann ein Umschwenken von „Masse zu Klasse“ funktionieren? Wären die Lobby-Gruppen bereit, eine solche Entscheidung mitzutragen? Welche Auswirkungen hätte ein Kurswechsel für die Beschäftigung, die Produktivität und den Wohlstand auf den Kanaren? Wären die Kanaren überhaupt attraktiv genug, um ausreichend gut zahlende „Klasse-Touristen“ anlocken, um davon besser zu leben als von den „Massen-Touristen“?

Das Thema ist höchst komplex. Schaffen die kanarischen Politiker das?

Bestimme den Lohn für unsere Arbeit!

Wenn Du unsere Inhalte nützlich, unterhaltsam oder informativ findest, kannst Du den Lohn für unsere Arbeit selbst bestimmen. Das geht ganz einfach über diesen Link:

190a401e30ea435da230cdfee8f4b259
https://www.fuerteventurazeitung.de/du-bestimmst-den-lohn-fuer-unsere-arbeit/ banner 300x250 Bestimme den Lohn

Weitere Beiträge im Bereich Fuerteventura Nachrichten